Landesbischof Dr. Christoph Meyns: Predigt in der Festmesse beim GSM-Michaelsfest 2022 über 4. Mose 22,31-35

Landesbischof Dr. Christoph Meyns – Beauftragter der EKD für Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften Paderborn, 25.09.2022

4. Mose 22: 31 Da öffnete der HERR dem Bileam die Augen, dass er den Engel des HERRN auf dem Wege stehen sah mit einem bloßen Schwert in seiner Hand, und er neigte sich und fiel nieder auf sein Angesicht. 32 Und der Engel des HERRN sprach zu ihm: Warum hast du deine Eselin nun dreimal geschlagen? Siehe, ich habe mich aufgemacht, um dir zu widerstehen; denn der Weg vor mir führt ins Verderben. 33 Und die Eselin hat mich gesehen und ist mir dreimal ausgewichen. Wäre sie mir nicht ausgewichen, wollte ich dich jetzt töten, die Eselin aber am Leben lassen. 34 Da sprach Bileam zu dem Engel des HERRN: Ich habe gesündigt; ich hab’s ja nicht gewusst, dass du mir entgegenstandest auf dem Wege. Und nun, wenn dir’s nicht gefällt, will ich wieder umkehren. 35 Der Engel des HERRN sprach zu ihm: Zieh hin mit den Männern, aber nichts anderes, als was ich zu dir sagen werde, sollst du reden. So zog Bileam mit den Fürsten Balaks.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn ich mit dem Fahrrad ins Büro fahre, komme ich nach Überquerung der Hauptstraße an einem Haus vorbei, an dem ein Schild am Zaun hängt mit der Aufschrift „Engel-Praxis“. Auf der dazu gehörigen Internet-Seite kann man lesen, dass die Dame, der das Haus gehört, als Engel-Medium eine Ausbildung im Fach „Quantum-Engel-Heilen“ absolviert hat und in der Lage ist, mit Hilfe ihrer Gabe der Hellsichtigkeit und Hellhörigkeit Botschaften der geistigen Welt an Menschen weiterzugeben, die mit ihren Anliegen zu ihr kommen. Ein Intensiv-Engelreading kostet 240,00 €. So kommt man also in Wolfenbüttel in Verbindung mit Engeln.

Auf einer längeren Dienstfahrt vor einigen Woche hatte ich die Zeit genutzt, mich ein erstes Mal auf den Gottesdienst für heute vorzubereiten, las die Perikopentexte zum Michaelsfest auf meinem Tablet und überlegte, worüber ich predigen könnte. Wie Sie vielleicht wissen, scannen Mobilfunktelefone und Tablets die Umgebung nach möglichen WLAN-Verbindungen ab. Wenn sie eines entdeckt haben, erscheint ein kleines Fenster mit dem Namen des Netzwerks. Während ich also gerade tief versunken über die Bibeltexte zum Michaelsfest grübele, poppt plötzlich eine Nachricht mitten auf dem Bildschirm meines Tablets auf mit der Aufschrift: „Hotspot von Michaels iPhone in der Nähe gefunden. Möchten Sie sich verbinden?“ Ich muss gestehen, mir war einen Moment lang wirklich ein bisschen unheimlich zumute. Ein Erzengel sucht die Verbindung zu mir per iPhone? Ich habe die Nachricht dann schnell weggewischt. Aber inzwischen frage ich mich: Was wäre wohl passiert, wenn ich auf „okay“ geklickt hätte?

Bileam hat eine andere Erfahrung gemacht. Der Prophet bekommt von Balak, dem König von Moab, den Auftrag, das Volk Israel zu verfluchen. Aber auf dem Weg stellt sich ihm ein Engel mit gezogenem Schwert entgegen, um das zu verhindern. Jedoch sieht nur seine Eselin ihn und verhält sich entsprechend störrisch. Und Bileam schlägt sie deshalb. Erst als Gott ihm die Augen öffnet, sieht auch er den Engel, fällt zu Boden und ergibt sich ganz in dessen Willen.

Störungen kann ich nur schlecht ertragen. In meinem Job sind Termine und Aufgaben so eng getaktet, dass alles gut funktionieren muss mit einem hohen Maß an Selbst-Organisation und Effizienz, sonst wird es schnell schwierig. Das gilt für mich selbst, für mein Büro, aber auch für die Arbeit im Landeskirchenamt und in den verschiedenen kirchlichen Leitungsorganen auf Landes- und Bundesebene, Stichwort: agiles Arbeiten. Ich ärgere mich, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich sie gerne hätte, wenn sich Dinge verzögern, verschleppt werden, wenn sich unerwartete Schwierigkeiten ergeben, die Dinge ins Stocken geraten, Pläne nicht funktionieren oder zusätzliche Beratungsschleifen notwendig sind.

Wenn ich aber höre, wie es Bileam ergangen ist, dann denke ich: Vielleicht sind das, was ich als Störungen erlebe, keine Störungen. Vielleicht sind das Eselinnen-Momente. Vielleicht sind da Dinge, die ich nicht sehe, und in Wirklichkeit steht da ein Engel, der mir aus gutem Grund den Weg versperrt. Muss ich in einer solchen Situation vielleicht Gott bitten, mir die Augen zu öffnen? Ich denke da etwa an eine Erkrankung, die mich zwang, zur Ruhe zu kommen oder an die großen Schwierigkeiten, die wir als Beauftragtenrat der EKD beim Aufbau der Betroffenenbeteiligung hatten.

Kennen Sie das? Was sind Ihre Eselinnen-Momente? In der populären Darstellung sind Engel unsichtbare Mächte, die Menschen treu und still begleiten, sie behüten, davor bewahren, ihren Fuß an einen Stein zu stoßen und die sie auf Händen tragen. Gerne sprechen wir im Rückblick auf Erfahrungen der Bewahrung von unserem Schutzengel. Aber auch das andere ist eben möglich: Engel lösen Störungen aus. Sie versperren uns den Weg und bedrohen unser Leben. Sie tun das nicht, um uns zu vernichten, sondern um uns zur Umkehr zu zwingen. Und es ist gut, wenn sich das Leben von seiner störrischen Seite zeigt, sich zu fragen: Was sehe ich nicht?

Nun steckt nicht hinter jedem Esel ein Engel. Mancher Esel ist einfach nur ein Esel. Manche Störung ist dazu da, aus dem Weg geräumt zu werden, mancher Mensch ist einfach nur schwierig. Hier gilt es klug die Geister zu unterscheiden. Dazu brauchen wir Ruhe, Zeit der Stille und der Besinnung und das Gebet mit der Bitte, dass Gott uns die Augen öffnen möge, so wie er Bileam die Augen öffnete.

Und doch, mit der Möglichkeit zu rechnen, dass hinter dem, was im Leben zäh, schwierig, widerständig, störrisch und mühsam ist, könnte ein Engel stehen, verändert die Perspektive. Statt sich zu ärgern, bleibt man stehen und versucht, aufmerksam und offen zu sein, genau hinzuhören und hinzusehen, was sich darin unsichtbar vollzieht und was mir Gott vielleicht damit sagen will.

Ich werde ja immer einmal wieder gefragt: Was braucht die Kirche von den Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften. Und ich sage dann immer: Sie braucht euch als die, die ihr seid in dem, was ihr tut. Ihr dient dem kirchlichen Leben, indem ihr ihr selbst bleibt und euch nicht für irgendetwas verzwecken oder in irgendetwas einordnen lasst. Mit der Geschichte von Bileam gesprochen sind Sie also für die verfasste Kirche so etwas wie eine Eselin: Sie passen nicht in die Strukturen der verfassten Kirche. Sie stehen quer zum Alltag in den Kirchengemeinden. Sie bewahren störrisch Traditionen, die in der Breite des kirchlichen Lebens längst erloschen sind. Wenn die Kirche weise ist, dann sieht sie in Ihnen ein Zeichen, dass sie für manches blind ist und Gott immer wieder darum bitten muss, ihr die Augen zu öffnen.

Gott segne Ihre Gemeinschaft. Gott segne Sie. Amen

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