Landesbischof Dr. FRANK OTFRIED JULY: Predigt beim Katholikentag am 27. Mai 2022 zu Epheser 4,7-10

(Die Predigt hat Landesbischof Dr. F.O. July dankenswerterweise schriftlich zur Verfügung gestellt, damit wir sie veröffentlichen können.)

Einem jeden aber von uns ist die Gnade gegeben
nach dem Maß der Gabe Christi.
Darum heißt es (Ps 68,19):
»Er ist aufgefahren zur Höhe,
hat Gefangene in die Gefangenschaft geführt
und den Menschen Gaben gegeben.«
Dass er aber aufgefahren ist,
was heißt das anderes,
als dass er auch hinabgefahren ist
in die Tiefen der Erde?
Der hinabgefahren ist, das ist derselbe,
der aufgefahren ist über alle Himmel,
damit er alles erfülle.

Liebe Schwestern und Brüder,
auch bei diesem Katholikentag in Stuttgart, ähnlich wie beim Evangelischen Kirchentag im Jahre 2015, erleben wir eine Vielfalt an Gaben und Begabungen. Schon das Programm mit seinen verschiedenen Perspektiven und Akzentsetzungen lässt etwas davon erahnen. Auch wenn manche in unserer Gesellschaft die Kirche(n) gerne in einen monolithischen Block stecken möchten und sich damit auseinandersetzen wollen im Für und Wider – dem ist schon lange nicht mehr so. Wir leben in vielfältigen Formen in unseren Kirchen: Gabenvielfalt, Dienstvielfalt, Gnadenvielfalt.

Womit wir bei unserem Textabschnitt aus dem Epheserbrief wären.

Das ganze 4. Kapitel des Briefes – aus dem unser Abschnitt stammt – ist überschrieben: Die Einheit im Geist und die Vielfalt der Gaben. Und gleich am Anfang unseres Abschnitts heißt es: Einem jeden aber von uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi.

Jeder und Jede wird angesprochen. Du bist gemeint. Du hast Gaben geschenkt bekommen. Du bist auch Kirche.

Wir zeigen ja immer wieder – in Zustimmung oder Ablehnung – auf das Kollektiv, auf die Institution, auf die sichtbaren oder weniger sichtbaren Probleme. Es ist auch gut, dass wir Ecken, Kanten, Verwerfungen und Probleme ansprechen. Es gibt auch die Gabe der aufbauenden, der konstruktiven Kritik. Diese Gabe soll auch unsere Kirche auf dem Weg durch die Zeiten begleiten.

Aber: wir gehören dazu, wir sind mit Gaben beschenkt, mit Gnade, mit einer Beauftragung. Im Geist Gottes immer wieder an der Erneuerung der Kirche mitbauen, jeder und jede von uns.

Kirche ist, wie auch andere Bilder der Bibel zeigen, ein lebendiger Organismus. „Wenn ein Glied leidet, leidet die anderen mit“ – das wird uns, wird mir in diesen Tagen ganz persönlich deutlich, und so geht es vielen Glaubenden und vielen Gemeinden, so geht es uns als Kirchen: „Wachet und Betet!“ so sprechen wir seit den ersten Kriegstagen. Ich kann nicht unbeschwert singen, so lange Menschen im Krieg sterben, vor den Bomben flüchten, in Kellern kauern. Auch nicht, so lange Menschen des Hungers sterben.
Wir sind Glieder eines Leibes: Leib-Ökumene, das ist ein besonderes Wort. Leib-Ökumene im Wissen, dass wir manchmal Gelenkschmerzen haben und nicht immer alles zusammenspielt.

Nein, unbeschwert können wir nicht die Ökumene preisen. Wir reden aber von ihr und wir arbeiten daran und wir lassen den Traum nicht los, den Auftrag nicht los, den uns Christus gegeben hat, und nicht das Bewusstsein, das wir ein Leib sind. Berufen zum Frieden, zur Gerechtigkeit, zur Bewahrung der Schöpfung, gemeinsam unterwegs auf diesem Weg. „Ihr seid ein Leib…“

Für mich bedeutet das auch die ökumenische Erneuerung im Haus der versöhnten Verschiedenheit, um endlich „Leben teilen, das heißt auch das Mahl zu teilen.“

Christus ist der Geber aller Dinge, mit Vollmacht und Gnade. Im Textabschnitt wird auch berichtet, in Anlehnung an ein Psalmwort, wie er in den Himmel aufsteigt und wieder in die Tiefe hinabsteigt. „…empfangen von dem Heiligen Geist, geboren… hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel…“ – auch das apostolische Bekenntnis beschreibt diese den Kosmos umgreifende Bewegung Christi: die Verbindung Gottes mit den Menschen und die Aufnahme des Menschensohns bei Gott. Und so bekommt sein Erlösungswerk eine Dynamik des Verbindens:
die Verbindung der Toten mit dem Leben,
der dunkelsten Winkel der Erde mit dem Himmelreich Gottes,
unserer Verletzlichkeit mit der Herrlichkeit Gottes.
Der alles verbindende Christus
zieht dabei all die mit sich, die ihm anvertraut sind.

Und so ist dieses dynamische Erlösungswerk auch ein Fahrplan für die Ökumene, wenn man das so sagen darf.
Unvorstellbar, dass der, der das Totenreich, in der nach alttestamentlicher Aussage Gott nicht gelobt werden kann, mit dem Himmel verbindet, nicht auch uns verbunden wissen wollte: die Glieder seiner Kirche, seines Leibes!

Christus durchmisst den Kosmos, so könnte man auch sagen, … damit er alles erfülle. Erst wenn wir alle, die Gott ruft, mit Gott verbunden sind, ist das Erlösungswerk Christi vollendet.

Liebe Schwestern und Brüder, darum feiern wir das Heilige Abendmahl. In diesem Heiligen Mahl kommt Christus zu uns, stellt sich neben uns, sieht jede Einzelne, jeden Einzelnen von uns an, beschenkt uns mit seinen Gaben und vergewissert und stärkt uns.

Er ruft uns die Worte seiner Gerechtigkeit und seines Friedens zu, in einer Welt, die in diesen Tagen in besonderer Weise Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit erfährt.

Er spricht mit uns im Zeichen der Versöhnung und des neuen Anfangens – inmitten von so viel Unversöhnlichkeit und Beendigung von Kommunikation – an.

Und in diesem Mahl will er uns als Schwestern und Brüder verbinden.
„ein Leib und ein Geist;
(…) einerlei Hoffnung eurer Berufung;
ein HERR, ein Glaube, eine Taufe;
ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen…“ (Eph 4,5)

Denn Christus schenkt sich ungeteilt als der eine Herr in dem einen Mahl. Deswegen hören wir als Christinnen und Christen vieler Konfessionen auch nicht auf uns zu sehnen, zu bitten und daraufhin zu arbeiten, dass wir miteinander auch gemeinsam das Herrenmahl feiern können.

Deshalb ist die Wiederherstellung der Einheit unter den Christen unter der Leitung des Heiligen Geistes eine so dringende Aufgabe. (…)
Die Endbestimmung der Kirche besteht darin, in die Koinonia, (die) Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes hinein geholt zu werden und als Teil der neuen Schöpfung Gott in Ewigkeit zu preisen und sich an ihm zu erfreuen.“1

Wir leben aus seiner Gabe und er schenkt uns Begabung. So freut es mich heute besonders, dass wir gleich die Prädikantin Inke Kutzbach für ihre Dienste in Predigt und Sakramentsverwaltung in der ganzen Berneuchener Gemeinschaftsfamilie einsetzen können. Auch das, ein Zeichen der vielerlei Gaben Gottes am einen Leib Christi.

Und so lasst uns mit der Sehnsucht, mit der Hoffnung heute zusammen feiern und beten, dass das Gebet Christi erfüllt werde: dass nicht nur Toten- und Himmelreich, Gott und Mensch, sondern auch die Teile des Leibes Christi verbunden werden mögen, auf dass sie eins werden und „Gott sei alles in allem“.
Amen.

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